Dr. Viola Vahrson > "Wirklichkeit suchst du also" - Zu den Videoarbeiten von Franziska C. Metzger Dr. Rainer Bessling > Haarwurzel und Hinterland - artist Kunstmagazin/ Ausgabe Nr.88 Viola Vahrson
„Und manches was ich erfahren, Weder der gewissenhaft sezierende Blick noch der distanzhaltende Überblick
sind geeignete Perspektiven, um die Videoarbeiten von Franziska C. Metzger
zu erschließen. Vielmehr sollte man es dem verliebten Paar im Klinikfilm
(2010) gleichtun und sich mit der Strömung treiben lassen, dem Fluss
der Bilder, Worte und Klänge folgen und mit jedem Ruderschlag genüsslich
in die tiefsinnigen Banalitäten, die alltäglichen Katastrophen
und die zwischenmenschlichen Abgründe eintauchen, Szene für
Szene, noch einmal und noch einmal und noch einmal. Das Gespinst der Wirklichkeit, das die Künstlerin in ihren Videos
entwirft ist von einer verfeinerten Symbolik und prachtvoll verspielten
Formensprache geprägt. Das zentrale Stilmittel, das alle Ebenen
und Bereiche durchdringt und miteinander verbindet ist die Groteske.
Sie findet in der Struktur ebenso Ausdruck wie in der Sprache, den Themen,
Szenerien, Kostümen und den Verhaltensweisen der Figuren, die allesamt
liebevoll überzeichnet sind. Während Videoarbeiten wie Hörstück (2009), Na da stoß ma
drauf an, (2008) oder Der Klinikfilm (2010) diesem Fluss folgen und ihn
gleichsam erzeugen, scheint der Informationsexzess in der Videoarbeit
Vier Monitore an die Grenzen seiner Ausdehnung gelangt zu sein. Der persönliche
Kollaps ist ebenso präsent, wie die medial inszenierte Katastrophe.
Doch die verzweifelten Forderungen: „Schalt’s ab. [...] Schalt
das verteufelte Ding endliche ab!“ bleiben wirkungslos: „Es
geht nicht. Es fängt immer wieder damit an.“ Selbst die Warnung „Wenn’s
jetzt nicht abstellst wird’s einen supernovalen Kurzschluss geben“ führt
nur zu einer kurzzeitigen Erleichterung. Das Abstreifen aller zivilisatorischen
Accessoires, die Flucht ins Unterholz und die finale burleske Abfuhr,
die lautmalerisch unterstrichen wird, öffnet ein Schlupfloch, das
jedoch sogleich wieder mit dem Bedürfnis nach Sammlung durch Zerstreuung
verstopft wird. Der eruptive Einbruch grotesker Körperlichkeit stellt
die einzige Möglichkeit dar, den gesellschaftlichen Druck für
einen Moment entweichen zu lassen. Die parodistische Entfesselung menschlicher
Bedürfnisse findet ihren Ort allein in der (widerständigen)
Natur. Das Auto muss verlassen, die Kleidung abgelegt sein, der dunkle
Wald die Protagonisten umfangen haben, damit die Selbstentfremdung für
einen Moment unterbrochen wird. Eine grundlegende Lösung bietet
dieser Ort keineswegs. Das wird nicht nur durch den ruppigen Umgang mit
der Natur veranschaulicht: „Der Stamm blockiert!“ – „Dann
säg ihn ab“, sondern zeichnet sich bereits durch die Konstruktion
der Videoarbeit ab, die aus vier Monitoren besteht, auf denen simultan
verschiedene Szenerien abgespielt werden. Neben den beiden Autoinsassen,
die im mobilisierten Bewegungsstrom Radiowellen einfangen oder abzublocken
versuchen, ist auf einem weiteren Monitor ein Kellerraum zu sehen in
dem eine Person vor mehreren Monitoren sitzt, die alle verschiedene Autobahnabschnitte
zeigen auf denen unentwegt Autos dahin rasen – aus dem Nichts kommend,
in einen leeren Horizont fahrend. Ein weiterer Gedankenstrom entspinnt
sich auf dem dritten Monitor zwischen einer jungen Frau und einer gebrechlichen,
jedoch geistig äußerst agilen Alten. Nur der vierte Monitor
schweigt nahezu, in dunkle Nacht getaucht, die Quelle des gemeinschaftlichen
Sinnierens abbildend, das Lagerfeuer. Der Dauereinsatz der Sprache, der
Begrenzung durch Überfülle symbolisiert, wird auf der bildlichen
Ebene durch zahlreiche rätselhafte Objekte und kulissenhafte Umgebungen
flankiert, die ebenfalls auf das Einengende und Begrenzende gesellschaftlicher
Zustände und Handlungen verweisen. Begrenzung ist jedoch nicht nur
negativ konnotiert, sondern bedeutet in gleichem Maße Orientierung,
Schutz und Gemeinschaft. So spielen beinahe alle Szenen entweder in der
Natur oder in Behelfsunterkünften, insbesondere Hütten, Lauben,
Zelten, aber auch das Auto und selbst das Boot sind temporäre Aufenthaltsräume.
Die Einfachheit dieser Einzeller schafft Übersicht und stiftet Mut
vom Kleinen aus das Große anzugehen oder zumindest darüber
zu debattieren: wie z.B. über die Liebe, das Dasein, das Universum
oder die Zukunft. Den verschiedenartigen Schutzräumen wird die Offenheit
der Natur (Wald, Wiesen, Bäche und Flüsse) zur Seite gestellt,
die jedoch nicht als bedrohlich inszeniert wird, sondern in den überschaubaren
Bereich der Heimat eingebettet ist. Heimat drückt sich in den Filmen
von Franziska C. Metzger als gesellschaftliches Gefüge mit überschaubaren
Verhältnissen aus, als räumlich-landschaftliches Milieu in
dem der Fremde noch als solcher erkannt wird (Na da stoß ma drauf
an, 2008). Der mobile gesellschaftliche Fluss wird in diesem Milieu aus
Gewohnheiten und bodenständigen Ritualen, wie etwa dem Kneipengang,
ausgebremst. Es findet sich Raum und Zeit für Randständiges.
Natürlich herrscht auch hier eine feine Ironie vor. Das Klischee
der Idylle, der Einfachheit und des Fluchtraums Heimat dienen als stark überzeichnetes
Stilmittel, als Folie skurriler Gestalten, die keineswegs so harmlos
sind, wie sie sich selbst erscheinen (z.B. Dr. Inge, Herr B.).
Rainer Bessling „Anakoluth“ heißt Franziska Metzgers jüngste Arbeit. Eine Art Wärterhäuschen mit Backsteinoptik und Fensterleiste, passend zur Gleishalle im Güterbahnhof, dem Schauplatz des Bremer Kunstfrühlings 2011. Perspektivisch verzerrt, proportional verschoben, steht die prekäre Konstruktion auf einem unzugänglichen Bahnsteig-Relikt, mehr Comic als Architektur, mehr Fassade als Raum. Eine schwankende Holzbrücke, flankiert von repräsentativen Parkleuchten, bietet ironisch Zugang an. Sounds und Videobilder umspielen den Kunstraum als subtile Antwort auf den Ausstellungsort und befördern ihn zu einer irrlichternden Hülle für allerlei Projektionen. „Anakoluth“ ist ein Begriff zur Beschreibung sprachlicher Phänomene. Er meint Brüche und Ausbrüche im Satz, Umstiege und Ausstiege. Formulierungen folgen dabei Gedanken und Mitteilungen, die nicht immer in der Spur bleiben, die von anderen Ideen gekreuzt oder überholt werden, die also eigentlich eines Stellwerks bedürfen. Doch in der technisch und rhetorisch korrekten Ordnung verblassen nicht selten Ursprung und Originalität. So kann Sprache auch als Schienenphänomen, als Transport- und Logistikproblem, begriffen werden. Syntax spiegelt sich in Architektur, im Wegenetz dürfen das individuelle Empfinden und das subjektive Einstiegsgefühl nicht den Anschluss verlieren. Die brüchige Stellwerk-Statik mit ihrem Fassadencharakter und die sprachliche Referenz führen zu Grundzügen im Werk der in Berlin lebenden Künstlerin. Text, Video, Musik, Klang, Objekt, Installation und Raum durchdringen sich in den Arbeiten von Franziska Metzger zu einem ebenso unauflöslichen wie dauerhaft reibungsvollen Geflecht. Hütten, Buden, Butzen und Lauben bilden Gehäuse für filmische Szenen und poetisch-philosophische Texte mit irritierenden Stil-Sprüngen. Die verschobenen Maßstäbe und die Risse in den Raumcollagen entsprechen verschrobenen Wirklichkeiten in Bild und Sprache. In ihrer Installation „gedankliches Hinterlandseck“ lässt Franziska Metzger den Betrachter auf einem alten, bedrohlich heimeligen Polstersessel mit Korbgeflecht Platz nehmen. Auf dem in eine dunkle Bretterwand eingelassenen Monitor läuft ein Video: „Na, da stoß man drauf an“. Der Film beginnt in einer ländlichen Kneipe. Es läuft Country-Musik, Männer in Western-Dress plaudern am Tresen über die vermeintlichen Reize und den geheimnisvollen Zauber der Gegend. Ein Trio an einem Tisch mit karierter Decke verhandelt Bier und Schnaps trinkend Tipps zur Lebensführung. Die Künstlerin selbst in Bohème-Montur tritt auf und befragt ihr Gegenüber zur literarischen Kunstfertigkeit: „Was macht für dich eine gute Erzählung aus?“ „Eine gute Erzählung muss aus der Haarwurzel kommen, und der Rhythmus muss stimmen.“ „Denkst du denn, eine Geschichte braucht eine außergewöhnliche Begebenheit?“ Die Frage bleibt im Raum stehen, in dem eine gruselige Gewöhnlichkeit herrschte. Schwenk zum Trio am Tisch, Gläser und Flaschen werden gehoben, einem einsamen Gast am Nachbartisch zugenickt, der mit melancholischem Blick in den Bierkrug sagt: „Das Eigentliche, das mich antreibt, entgleitet mir ständig.“ „Na, ich werd‘ mal ein paar Bekanntschaften knüpfen gehen“, verabschiedet sich eine Frau von ihren Tischgenossen. Häufig schälen sich in Franziska Metzgers Texten solche Sätze aus Gesprächsfloskeln und Selbstgesprächen heraus. In bewusster Stilisierung, in einer kunstvollen Wendung zur gesprochenes Alltagssyntax mit Dialektanteilen, tritt das Denken pointiert naiv und mit einer eigenen Poesie, einem eigenen Klang und Rhythmus auf. Das dunkle Ambiente im gedanklichen Hinterland verweist auf das bevorzugte Kolorit der Künstlerin. Schon als Kind habe sie die Nacht so gern gehabt, lässt sie eine ihrer Alter- Ego-Figuren sagen. In die Sonne könne man nicht hineingucken, in die Nacht schon. Den hellgrünen Polstersessel im „Hinterlandseck“ flankiert an einer Seite ein schwarzer Holzparavent. Bäuerliche Figuren sind dort hineingeschnitzt, ein Trommler dazu und Sprechblasen. In einer heißt es: „S‘ist fast so, würd ich meinen, dass der Tag ein Spezial, ein Spezi von der Nacht ist. Da kann man nicht über unsere Erde hinausdenken, die ist zu hell und zu warm dann. In der Nacht dagegen, da ist es eher wie überall im All, weil man sich da mehr zum Universum gerückt fühlt. Und man fürchtet sich auch ein wenig darüber.“ Erkenntnis und Furcht, der Schauer in der Behaglichkeit, auch dies spannungsvolle Paarungen in der Kunst der gebürtigen Münchnerin. Die Nachtseite als Sinnbild für das Triebhafte und Animalische, als Gegenpol zur erhellenden Vernunft, der Wald als Naturrelikt und Kontrapunkt zur Zivilisation mit ihrem festen Regelwerk, das sind bevorzugte Szenen und Orte, an die Franziska Metzger ihr Publikum führt. In zwei Skulpturen lässt sie Tierisches in lässiger menschlicher Pose auftreten, so als würden Affe und Pferd der vermeintlich höher entwickelten Spezies höhnisch einen Spiegel vorhalten. Aus einer grobschlächtig gebauten „Heimorgel“ vermeint der Betrachter archaische Klänge zu hören, weniger Himmelstöne als dunkle Erdschwingungen. Verschiedene Stipendien haben die Künstlerin in die Provinz
geführt. Sie verarbeitet Erscheinungsbilder der Region in
ihren Filmen und bringt sich dabei selbst mit ins Spiel. Erinnerungsfetzen
an die Kindheit verweben sich mit Beobachtungen vor Ort, mit Lektürefunden
und eigenen Texten. Wunderbare Lieder gehören dazu, lyrisch
und skurril, sinnlich und versponnen, wie überhaupt die häufig
selbst gesampelte oder geschriebene Musik eine gewichtige Rolle
in der Arbeit Franziska Metzgers spielt. In ihrem „Pfälzer
Videoloop“ collagiert die Künstlern Szenen, Couplets
und Fragmente zum Thema Anerkennung aus Werner Schwabs „Der
Dreck und das Gute, das Gute und der Dreck“. Immer wieder begegnet man in Franziska Metzgers Filmen grotesken Situationen und Gedankenflügen auf provinziellen Bühnen und vor Naturkulissen, in Schenken und an Lagerfeuern. Die Künstlerin überträgt ihre Lektürefunde einem schrägen, artifiziell alltäglichen Personal, bedient Klischees und entlarvt sie zugleich, zeigt Abgründe im Vordergründigen. Eingelassen in grob gebastelte, stets mitsprechende, als eigene Akteure auftretende Räume mit ländlichem Charme, gewinnen Reflexionen über das All und das Nichts, über das Leben und die Kunst, über Liebe und Zukunft eine bedrängende und zugleich anziehende Körperlichkeit. Die Sprache richtet sich in Räumen ein, das Ich in der Sprache. Die gedanklichen Höhenflüge reiben sich an erdverwurzelter Körperlichkeit, Gedanken an Empfindungen und Erfahrungen. Verstehensanfänge werden inszeniert, gegenüber geschlossenen Analysen herrscht Skepsis. Je mehr Häuslichkeit aus einer Szenerie mit metaphysischem Überbau spricht, desto befremdlicher und abgründiger erscheint diese Wohnwelt von Leib und Kopf. In der Installation „Seelengrube“ pflanzen „country-musikalische Ein- und Aussetzer“ und Geräusche eine vertraute und zugleich unwirkliche Raumatmosphäre in eine äußerst prekäre Architektur. Bespannte und bemalte Lattenkonstruktionen deuten eine Wohn- oder Kneipensituation an, das Interieur ist meisterhaft schlecht gebastelt, Objekte und Malerei gleiten ineinander, eine passende Kulisse für Gedanken über die Macht des Rausches: „...das ist es nämlich, was mir an einem Suff schon oft aufgefallen ist: dass eine Leere von innen her aufsteigt und sich über die eigenen Körpergrenzen hinaus ausdehnt, in diese Kneipe hinein, nicht Halt machend, weiter schwebt sie in die Nacht hinaus und dann in das Weltall... Im Gegenzug verdichtet sich in einem der Eigenmensch bis zu einer Undenkbarkeit - man hat schon fast kein Besitzrecht mehr auf ihn.“ Die Provinz legt aber nicht nur tiefgründige Gedanken und abgründige Seelenlagen offen, hier landen neben anderen Kopfgeburten auch Meisterleistungen der Wissenschaft und Technik hart. Im „Hinterlandseck“ wird in der Paraventschnitzerei auch die unbefriedigende Analyse des Nichts verhandelt, und der Trommler frohlockt: „Das freut mich immer, wenn Theorien über den Haufen geworfen werden.“ In der Rauminstallation „Scheune“ streckt ein hölzerner Satellit die Flügel, und ein erhaben beleuchteter Korridor führt eher ironisch zu einer Holzrakete. Die Klangcollage „Der Mondloop“ macht aus der Weltraumexpedition eine absurde Eroberungsschleife mit zahlreichen Störungen zwischen Himmel und All und zweifelhaftem Nutzwert. Neben installativen Anspielungen an die mehr oder weniger feste Holzarchitektur der Provinz wählt die Künstlerin als mitsprechende Bühnen für ihre filmischen Inszenierungen mobile Unterkünfte. In ihrem Beitrag für den ersten Paula Modersohn-Becker Preis spielte sie ihren „Klinikfilm“ in einem Zelt ab. Figuren und Szenen im Film entsprechend - einem Paar auf einer Flusspartie, zwei Frauen im philosophischen Plausch zwischen Flughafen und Wald -, ist hier die temporäre Unterkunft von Nomaden zwischen Stadt und Land gewählt. An anderer Stelle stellte sie ihr „Hörstück“ in einen „Campingwagen“, ein fragiles Bastelobjekt aus Lattengerüst und Papierbahnen. Wenig ist sicher in dieser Kunstwelt, Figuren und Gedanken sind permanent auf dem Weg, Land und Stadt, Kunst und Wirklichkeit, Theorie und Praxis, Natur und Kultur, hoher Ton und Alltagssprache, freundschaftliche Annäherung und Aggression kommen sich in die Quere. Alles ist in schönster Bewegung, permanent Einstieg, Umstieg, Ausstieg. |